Re-Zirkulierbarkeit von Textilien – gar nicht so einfach!
Wusstest du, dass Pro Kopf und Jahr 32kg Textilien im Abfall landen? Und dass die Textilien aus der Altkleidersammlung meist nur zu Dämmmaterial verarbeitet werden – wenn sie nicht verbrannt oder verrottet werden. 32kg – so schwer ist meine Tochter heute! Eine ganze Menge also – vor allem, wenn man dies dann noch mit der Anzahl Köpfe multipliziert… da wird mir ganz schwindlig!
Und heute habe ich jemanden getroffen, dem es ob diesen Zahlen auch schwindlig wurde: Sandra Grimmer, Gründerin vom Züricher zero-waste Fashion Label Seefeld Style. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Zero-Waste Mode herzustellen. Also Mode, bei der nicht nur bei der Produktion möglichst wenig verschwendet wird, sondern Mode, die sich rezyklieren lässt und zwar in einem geschlossenen Kreislauf (Das heisst dann re-zirkulieren). Sie hat das ehrgeizige Ziel, dass man aus ihrer Mode am Ende des Lebenszyklusses eben nicht bloss Dämmmaterial herstellt, sondern das Material wieder für Textilien verwendet werden kann.
Und übrigens: Sandra ist mit ihrem “Salon Privé” im August 2021 im Stoffwald! Wenn du bei ihr einen persönlichen Termin buchen möchtest (20.-), um ihre zero waste Hosen anzuprobieren, kannst du dich hier anmelden [Link nicht mehr aktiv]!
Worauf es ankommt beim Textil-Recycling
Bei Recycling kommt es in erster Linie auf zwei Faktoren an:
- Die Art des Recyclings
- Das Material beziehungsweise die Reinheit des Materials
Arten des Recyclings
Mechanisch: Grundsätzlich gibt es im Recycling die Methode des “schredderns”, wo Textilien in kleine Fetzen zerhackt werden. Daraus lassen sich oft nur noch minderwertige Vliese (eben: zum Beispiel Dämmmaterial) herstellen.
Thermisch: Ausserdem kann man Materialien natürlich einschmelzen und dann neu verwenden. Dies wird zum Beispiel bei Glas, Aluminium oder auch PET so gemacht. Bei Textilien wäre dies für Kunstfasern wie zum Beispiel Nylon denkbar. Beim schmelzen leiden die Materialien aber und altern, D.h. sie werden spröde oder vergilben.
Chemisch: Gewisse Materialien, z.B. die meisten Kunststoffe, aber auch Baumwolle, Wolle, Seide oder Leinen können mit chemischen Lösungsmitteln aufgelöst werden. Die teuren Lösungsmittel und der energiehungrige Prozess machen diese Art des Recyclings aber teuer. Ausserdem kriegt man damit Materialmischungen nur schwer voneinander.
Enzymatisch: Die vierte Variante des Recyclings ist die enzymatische. Dabei werden biologische Prozesse angestossen, die die Stoffe aufteilen. Dieses Verfahren wir heute zum Beispiel für Waschmittel oder in Kläranlagen verwendet aber auch in vielen anderen bio-chemischen Verarbeitungsschritten. Dieses Recycling braucht viel weniger Energie weil es schon bei 20-40°C super funktioniert. Die Technologie dafür steckt aber noch in den Kinderschuhen.
Die Reinheit des Ausgangsmaterials
Die Krux beim Recycling ist die Reinheit des Ausgangsmaterials. Wenn dieses sehr homogen, also sortenrein ist, können solche Prozesse sehr gut funktionieren. Ist das Ausgangsmaterial aber schon “Kraut und Rüben”, so gelingen diese Prozesse nicht oder nur schlecht und es entstehen im besten Fall qualitativ minderwertige Stoffe.
Du kannst es dir vorstellen wie beim Kerzenwachs: Schmilzt du lupenreine Wachsreste von nur weissen Kerzen ohne jegliche Verunreinigung ein, erhältst du wieder tolles Kerzenwachs zum Weiterverarbeiten. Doch wenn in deinen Wachsresten verschiedene Farben und auch noch ein bisschen Zündholz-Stückchen, Fliegen und sonstiges Zeugs drin ist, wird dein eingeschmolzener Wachs von minderwertiger Qualität sein. Genau so ist es auch beim Textilrecycling (und dies ist übrigens auch der Grund, warum man z.B. Essig- und Öl-Flaschen nicht in die PET-Sammlung tun darf, was ich grad heute morgen beobachtet habe!).
Auftrennung der Textilien in die Ursprungsmaterialien
Sandra hat sich nun in den Kopf gesetzt, Mode zu produzieren, die sich nach dem Tragen wieder in ihre Ursprungsmaterialien auftrennen lässt. So hat sie sich lange auf die Suche gemacht nach Materialien einerseits und Recycling-Prozesse andererseits, bis sie das gefunden hat, was sie suchte: Ein Stoff, der sich wieder zu 100% zersetzen lässt in seine chemischen Ursprungselemente. Ein Stoff also, der “zu 100%” in eine zirkuläre Wirtschaft passt – Zero-Waste eben!
Für ihre Hose verwendet Sandra also Viskose, Polyamid und Elasthan, welches sich durch einen enzymatischen Prozess wieder in Glukose-Sirup, Monomere und Polyamid auftrennen lässt. Daraus lässt sich dann wieder etwas herstellen, das von guter Qualität ist.
Damit der enzymatische Prozess des Recyclings für ihre Stoffe jedoch gelingt (das nennt man “Enzymatische Hydrolyse”), muss Sandra ganz genau wissen, woraus der Stoff besteht und wie er behandelt worden ist. So muss zum Beispiel jede Farbe oder jede Chemikalie, mit welcher der Stoff ausgerüstet wird, zum Beispiel eine Mercerisierung, geprüft werden: Lassen sich auch diese Chemikalien im enzymatischen Recyclingprozess verarbeiten? Erst wenn dies überprüft worden ist, kann Sandra grünes Licht geben und die neue Farbe oder die neue Behandlung des Gewebes durchwinken.
Eine Hose besteht ja nicht nur aus Stoff!
Doch ein Kleidungsstück besteht ja nicht nur aus Stoff – sondern auch aus Fäden, Knöpfen, Reissverschlüssen und Etiketten! Für all diese Stoffe gilt bezüglich Recycling genau das selbe: Auch dies muss für ein erfolgreiches Recycling sortenrein getrennt werden. Für Sandra bedeutet dies, dass sie bei ihren Hosen vor dem Recycling die Knöpfe ab- und den Reissverschluss (Polyesterzähne und Polyester-Band) raustrennt. Der Nähfaden würde sich nur sehr schlecht entfernen lassen, deshalb verwendet Sandra hier einen speziellen Polyamid-Faden (statt den üblichen Polyester-Fäden), der sich mit den restlichen Polyamid-Anteilen im Stoff, re-zirkulieren lässt.
Yarn to yarn: Ein geschlossener Kreislauf
Sandra ist es wichtig, die Ressourcen zu erhalten – und nicht am Ende des Lebenszykluses zu “kompostieren”, wie dies viele mit dem “cradle to cradle” Ansatz machen. Denn bei “cradle to cradle” werden die Ressourcen nach einmaligem Gebrauch vernichtet – zwar biologisch, eben “kompostiert” – aber die Energie, die in die Herstellung geflossen ist wurde vernichtet. Man muss nach dem Kompostieren im Prinzip wieder “bei Null anfangen” mit der Herstellung eines neuen Gewebes.
Sandras Ansatz ist deshalb “Yarn-to-Yarn” – sie möchte die Materialien erhalten und direkt wieder in einen nächsten Kreislauf einspeisen. Untenstehende Grafik zeigt den Unterschied der beiden Ansätze “cradle to cradle” und “yarn to yarn” sehr schön.
Alles nachhaltig richtig zu machen ist gar nicht so einfach!
Ich habe gestaunt, wie komplex die ganze Sache mit dem Textilrecycling ist – und es hat mich zum Nachdenken angeregt: Da werden so enorm viele Ressourcen verschwendet, weil Textilien äusserst ressourcenintensiv hergestellt werden (mit enormem Energie und Resourcenverbrauch) und dann oft sehr schnell einfach weggeworfen. Eine Wirtschaft in einem geschlossenen Kreislauf wäre wirklich erstrebenswert!
Ich bin sicher, dass wir “Selbernäherinnen” uns schon viele Gedanken über Textilien machen und sehr bewusst einkaufen und nähen. Und etwas Selbstgenähtes werfe ich kaum weg und zu klein gewordene, selbst genähte Kinderkleider gebe ich nur an gute Freundinnen weiter, die es zu schätzen wissen! Ich habe immer noch selbstgenähte Sachen, die ich vor Jahrzehnten genäht habe! Doch auch ich glaube, dass ich noch viel mehr nachdenken sollte über Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.
Nachhaltigkeits-Labels in der Textilbranche & im Stoffwald
Zum Thema Kreislaufwirtschaft gibt es noch keine etablierten grossen Zertifikate – und meist macht die Mode-Industrie den Anfang und wir Näherinnen profitieren von diesen Trends. Für Stoffe gibt es jedoch den Bio-Standard GOTS oder das Ökotex 100 Zertifikat. Wenn du mehr über diese Labels wissen möchtest, findest du eine Übersicht in meinem Blogbeitrag zum Thema “Bio, nachhaltig und fair? Was bedeuten diese Labels eigentlich genau?”. Nach diesen Labels GOTS oder Ökotex 100 kannst du übrigens im Stoffwald filtern, und zwar so:
Und sobald es auch “recycling” Labels gibt, wirst du darüber im Stoffwald erfahren und danach filtern können!
Zum Schluss möchte ich mich sehr herzlich bei Sandra und ihrem Team für ihren Besuch und die wahnsinnig vielen Infos zum Thema Textil-Recycling danken und ihr natürlich alles Gute wünschen auf ihrem weiteren Weg als Unternehmerin!
Esther
Das Treffen zwischen Sandra und Esther fand am 27. Juli 2021 in Zürich im Stoffwald-Atelier statt.
Mehr über Sandra und ihre zero-waste Hosen findest du auf https://seefeld.style/.
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